Tauss vs. Ruhrbarone – das Netz erwürgt sich selbst

1. Juni 2010 um 10:59 | Veröffentlicht in Allgemeines | 6 Kommentare
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Nachdem alt SPD-MdB Jörg Tauss, nach mehreren Parteiaustritten zunächst Pirat, jetzt parteilos, wegen des Besitzes von kinderpornographischen Bildern auf seinem Handy verurteilt worden war (das Urteil ist nicht rechtskräftig, Tauss hat Berufung angekündigt), kochte es in der Netzgemeinde, während das Richtige Leben™ nur kurz und erwartungsgemäß abfällig Kenntnis davon nahm.

Es mag Tauss getroffen haben festzustellen, daß der von ihm beklagte Zustand „vorverurteilt“ vom jetzigen Zustand, verurteilt, sogar noch übertroffen wird. So kehrte sich die Piratenpartei, die ihn noch als Angeklagten durchaus haben mochte, weil er sie als Zugpferd durch den Bundestagswahlkampf zog, nach dem Urteil in Rekordzeit, noch im Gerichtssaal, von ihm ab, was umso härter wirkt, bedenkt man, daß ein völliger Freispruch so wahrscheinlich war wie ein Lottogewinn. Doch auch große Teile dessen, was gern unscharf umreißend als „Netzgemeinde“ bezeichnet wird, die lange Zeit Verständnis für Tauss‘ abenteuerliche Begründungen aufbrachten, und ihm noch während der Verfahrensdauer um Pfingsten den Rücken stärkten, fielen Knall auf Fall um, kaum daß die vielstrapazierte Unschuldsvermutung nicht mehr bemüht zu werden brauchte.

So muß Tauss der Kommentar der Ruhrbarone besonders hart getroffen haben, gerade weil er nicht aus den etablierten Medien kam, von denen er sich sowieso nichts erwarten durfte, sondern aus der Mitte der Netzgemeinde, wo man scheinbar verstand, daß sich seine, Tauss‘ Wahrheit von der Medienkampagne der Staatsanwaltschaft und dem Vokabular einer Ursula von der Leyen unterschied. Genau aus der Mitte wurde er nun in die dunkle Ecke gestellt, was ihn so angepißt hat wie Horst Köhler, daß er die Ruhrbarone abmahnte.

Was für ein Scherbenhaufen! Von den Seitenlinien der Netzgemeinde, innerhalb deren wie gesagt unscharfen Grenzen ich auch mich selbst verorte, schaue ich fassungslos auf diesen Schaukampf zweier von uns. Beiden folgte ich auf Twitter, beider Blogs las ich. Beide hatten bis jetzt nicht so viel miteinander zu tun. Jetzt haben sich beide verrannt, sich ineinander verbissen, und nicht selten steht am Ende solcher Kämpfe keiner von beiden wieder auf.

Auf der einen Seite die Ruhrbarone, die einen Kommentar abgesetzt haben, was legitim ist, die aber dabei m. E. auf einen Zug gesprungen sind, der den Bahnhof in der falschen Richtung verließ, was durch lautes „Tuut-Tuut“-Rufen nicht korrigiert wird. Man muß Tauss nicht mögen, ich mag ihn nicht, man muß kein Verständnis für sein Tun haben, darf ihn in einem Kommentar auch schmähen, aber der Tenor ist falsch: Tauss ist kein Samariter, „kein Robin Hood“, und um seine eigenen Begründungen zu glauben, sind wir zu der Verrenkung gezwungen, ihn unglaublich dumm zu nennen. Aber Tauss ist nicht als Kinderficker verurteilt worden, sondern als Idiot, der vorschriftswidrig mit Gefahrgut hantiert hat. Viel besser als das eine ist das andere nicht, aber dennoch eine Unterscheidung wert. Die Ruhrbarone benutzen die rhetorische Waffe der unerlaubten Vereinfachung, die auch Zensursula so gern genommen hat: wer Schmutz anfasse, müsse ein Schmutzfink sein. Aber man kann Gülle sammeln, sie abpumpen, sie auf die Felder aufbringen – sie auf unser Essen spritzen! – und trotzdem ein braver Bauer sein.

Auf der anderen Seite Jörg Tauss, der, wenn er das Netz so gut kennt wie er behauptet, wissen muß, daß es darin keine geächtetere Waffe gibt als die Abmahnung. Noch dazu so eine miese, kleinliche, dämliche. Wenn man sich schon gegen die Meinungsäußerung nicht wehren kann, krittelt man statt dessen an den kleinsten Details der in der Meinung geäußerten Tatsachenbehauptungen rum – das ist schäbig. Es zeigt, wie dünnhäutig Tauss geworden sein muß in diesen anderthalb Wochen, wie gern er wohl die Brocken hinschmeißen würde wie Horst Köhler, nur daß seine Brocken dummerweise längst hingeschmissen sind. Zero Points von mir dafür.

Der Kampf der beiden Verbissenen wird sicher noch eine Weile weitergehen. Die Netzgemeinde macht aber das, was sie in so einem Fall genauso gut kann wie die etablierten Medien: Sie wendet sich etwas Neuem zu, geht weiter, hier gibt es ja nichts mehr zu sehen. Sie „entfolgt“, sie plonkt. Wie ich meinen raufenden Kindern beizubringen versuche: Aus einem kindischen Streit geht nie ein Gewinner hervor.

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